
Fachtagung . Sexarbeit und Gesundheit
Am 09. und 10. September 2021 findet in der VHS in Bielefeld die Fachtagung "Sexarbeit und Gesundheit" statt. Ziel der Tagung ist der Netzwerkausbau für die Gesundheitsförderung von Menschen in der Sexarbeit. Koordination der Fachtagung durch Beate Middeke,
Wir begrüßen die Teilnahme an der Fachtagung von Menschen in der Sexarbeit aus allen Bereichen.
Die Teilnahme an der Fachtagung ist kostenlos.
Programm
Das ▶ komplette Programm mit allen Veranstaltungspunkten und weiteren Informationen zur Fachtagung können Sie hier downloaden:
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Download Programm "Sexarbeit & Gesundheit" |
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Auszug aus dem Programm:
▶ | Vorträge |
- Prekäre Arbeit und Gesundheit im Sexgewerbe – und ihre Verbindungen mit städtischer Marginalitätspolitik. Jenny Künkel | |
- Lebenslagen von Menschen in der Sexarbeit. Ursula Probst | |
- Von wegen Superspreader - Politische Selbstorganisierung und Gesundheit von Sexarbeitenden. Joana Hofstetter | |
- Vision Sexarbeit, Vision Sexualität. Brigitte Hürlimann |
▶ | Workshops |
- Profis – Professionalisierung von Sexarbeiter*innen als Basis der Gesundheitsförderung - für Multiplikator*innen. Stephanie Klee | |
- Zugänge zu Mann-männlichen Sexarbeitern. Manuel Hurschmann | |
- Gesundheitliche Beratung nach §10 ProstSchG. Giovanna Gilges | |
- Sprachbarrieren und andere Barrieren in der Beratungsarbeit. Cristina Raffaele | |
- Aufsuchende Arbeit im ländlichen Raum. Patipan Haak & Kim Kairis | |
- Weibliche*Sexarbeit im Kontext Substanzkonsum – Konsequenzen für die Soziale Arbeit. Mina Luisa Khanbaba-Tehrani | |
- Perspektive auf Gesundheit von trans Personen in der Sexarbeit. Max Appenroth |
Kontakt
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Kontakt: Bert-Ulf Prellwitz |
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E-Mail: Bert-Ulf Prellwitz | |
fon 0521 - 13 33 88 |
Abstracts und Kurzbiographie der Referent*innen
Für Infos bitte auf die Namen der Referent*innen klicken
Prekäre Arbeit und Gesundheit im Sexgewerbe – und ihre Verbindungen mit städtischer Marginalitätspolitik
Covid19 machte nicht nur Armut und Ausgrenzung sichtbar, sondern auch deren Verschärfung durch eine ordnungspolitische „Verwaltung“ städtischer Marginalität. Denn die Pandemie zeigte, wie kontraproduktiv es z.B. ist, Obdachlosen Platzverweise zu geben, weil sie nicht „nach Hause“ gehen. Diese Konstellation ermöglichte es in einigen Städten, zumindest temporär sozial-und gesundheitspolitische Errungenschaften für prekarisierte Sexarbeiter*innen durchzusetzen (v.a. Hotelzimmer als Notübernachtung, Substitution auch ohne Krankenversicherung und erleichterten Zugang zu Sozialleistungen, auch für EU-Bürger*innen). Bald verstärkten sich jedoch mit Verweis auf Gesundheitsgefährdungen (Stichwort: „Superspreader“) Verbotsforderungen und Rufe nach einem „Schwedischen Modell“. Damit spitzt sich eine politische Spirale zu, die bezüglich Sexarbeit Tradition hat: Das Gewerbe wird im starken Maße durch Strafe und Kontrolle reguliert. Da dies an Armut, rassistischer Ausgrenzung, Aufenthaltsstatus, Ausbildungsstand oder Drogenabhängigkeit nichts ändert, entsteht eine Prekarität marginalisierter Menschen im Sexgewerbe, die Soziale Arbeit nur begrenzt abmildern kann. Armut und Ausgrenzung legitimieren dann wiederum Kontroll- und Strafforderungen (z.B. im Armutsprostitutionsdiskurs). Der Beitrag nimmt die erneute Verschärfung des politischen Drehtüreffekts zum Ausgangspunkt, seine Hintergründe genauer zu betrachten. Beleuchtet wird der Kontext einer zunehmend neoliberalisierten städtischen Migrations-, Sozial- und Drogenpolitik (z.B. Gentrifizierung, lokale Migrationsabwehr). Anschließend umreißt er Auswirkungen auf Arbeitsbedingungen und Gesundheit im Sexgewerbe (z.B. niedrige Preise in Straßensexarbeit und migrantisch geprägter Bordellsexarbeit, Druck zum Arbeiten in der Pandemie und ohne Gesundheitsschutz). Im Ergebnis plädiert er für eine ursachenbezogene, evidenzbasierte Politik, anstatt sich weiter im Kreis zu drehen.
Zur Person:

Lebensrealitäten von Menschen in der Sexarbeit
Sexarbeit ist ein heterogenes Feld, in dem ebenso vielschichtige Menschen tätig sind: u. a. Student*innen, Armutsbetroffene, Künstler*innen, Eltern, Menschen mit unterschiedlichen Staatsbürgerschaften, verschiedenen sozialen Hintergründen sowie diversen Motivationen und Lebensplänen. Diese Vielschichtigkeit erfährt allerdings aufgrund der Stigmatisierung von Sexarbeit und den aufgeladenen Debatten um dieses Thema wenig Aufmerksamkeit. An diesem Punkt setzt der Vortrag an, der basierend auf ethnographischen Forschungsprojekten Einblicke in die verschiedenen Lebensrealitäten von sexarbeitenden Menschen inner- wie außerhalb ihres Arbeitsalltages geben möchte. Ziel dabei ist es außerdem aufzuzeigen, dass eine Aufmerksamkeit für die komplexen Lebensrealitäten von Menschen in der Sexarbeit notwendig ist, um die ebenso vielschichten Problemlagen in diesem Sektor in ihrem gesellschaftlichen Kontext zu begreifen.
Zur Person:

Von wegen Superspreader - Politische Selbstorganisierung und Gesundheit von Sexarbeitenden
Was hat politische Selbstorganisierung mit Gesundheit zu tun…? Gerade in der Öffentlichkeit wird oft der Vorwurf laut, dass es sich bei politisch aktiven Sexarbeitenden um eine ‚privilegierte Elite‘ handele. Und tatsächlich stellen sie nicht das Hauptklientel von Beratungsstellen dar. Jedoch spielt die Zusammenarbeit zwischen Sexarbeitsbewegungen, Beratungsstellen und Gesundheitsorganisationen eine entscheidende Rolle im Kampf um Rechte, Anerkennung und Gesundheit. Mit einem Blick in die Geschichte der Selbstorganisierung von Sexarbeitenden macht der Vortrag deutlich, wie wichtig diese Kooperation auch heute weiterhin ist.
Zur Person:

Vision Sexarbeit, Vision Sexualität
Es ist höchste Zeit für einen neuen Weg – für eine Vision, einen anderen Umgang mit der Sexarbeit. Schluss mit der Schubladisierung, dem Nichtwissen-wollen, dem Augen-verschliessen, Schluss mit den Ängsten und Vorurteilen, der Stigmatisierung und Ausgrenzung. Wir sprengen das Gedankenkorsett, fokussieren nicht mehr einseitig auf die Probleme, sondern skizzieren ideale Umstände, Träume und Ziele. Und zwar gemeinsam mit den Sexarbeiter*innen. Wir holen sie zurück in die Gesellschaft, zu uns, mitten in die Stadt, in unsere Quartiere. Wir sind Nachbar*innen, arbeiten und leben Tür an Tür, begegnen uns auf Augenhöhe. Wir akzeptieren, dass in einer offenen, liberalen Gesellschaft die selbstbestimmte Sexualität unter Erwachsenen frei ausgelebt werden darf. Entgeltlich oder unentgeltlich. In welcher Konstellation auch immer.
Wir anerkennen, dass die Prostituierten Profis in Sachen Sexualität sind, Berufsleute mit einem anspruchsvollen Job – und dass wir von ihnen lernen können. Es ist falsch, die Sexarbeiter*innen pauschal als Opfer oder aber als Täterinnen und Störefriede abzustempeln. Es gilt zu differenzieren. Ausbeutung und Übergriffe müssen streng geahndet werden. Ebenso wichtig ist es jedoch, die selbstbestimmte Sexarbeiterin zu stärken. Ihre volle rechtliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Anerkennung trägt Wesentliches dazu bei, kriminellen Ausbeutern das Handwerk zu legen. Stärkung bedeutet auch: für gute und faire Arbeitsbedingungen im Sexgewerbe zu sorgen. Als Teil unserer Vision erschaffen wir deshalb das perfekte Bordell.
Kurzbiografie:

Profis – Professionalisierung von Sexarbeiter*innen als Basis der Gesundheitsförderung - für Multiplikator*innen
Sexarbeiter*innen immer nur aus der Perspektive der Sozialarbeit zu sehen, folgt einem eingeschränkten Blickwinkel. Wie alle anderen Erwerbstätigen brauchen Sexarbeiter*innen in erster Linie professionelle Unterstützung, um z. B. die Selbstsorge zu stärken und die Handlungsfähigkeit zu erweitern für die Verhandlung der Preise und die Grenzziehung der sexuellen Dienstleistungen – neben dem Wissen über ihre Rechte und Pflichten.
Folglich habe ich als Sexarbeiterin und Aktivistin 2009 das Fortbildungsprojekt profiS entwickelt, das seitdem mit finanzieller und ideeller Unterstützung der DAH Trainer*innen ausbildet, die in den Bordellen deutschlandweit den Sexarbeiter*innen das kompakte Knowhow der Sexarbeit anbieten.

Zugänge zu Mann-männlichen Sexarbeitern
Es gibt viele Gründe, warum die Soziale Arbeit einige Personengruppen nur schwer erreichen kann. Dies trifft auch auf Männer zu, die mit Sex Geld verdienen. Eine lange Tradition wirkmächtiger Stigmata ist hier genauso verantwortlich wie ein moralisch aufgeheizter gesellschaftlicher Diskurs zum Thema Sexarbeit. Im Workshop sollen unterschiedliche Herangehensweisen und deren Hürden vorgestellt werden.
Zur Person:

Gesundheitliche Beratung nach § 10 ProstSchG
Im Workshop geht die Referentin der Frage nach, ob und in wie fern die gesundheitliche Beratung nach §10 ProstSchG ein bedarfsorientierter Beratungsraum insbesondere für junge Erwachsene in der Sexarbeit sein kann. Dabei eröffnet sie eine Perspektive auf die ProstSchG-Beratung als arbeitsgesundheitliche Beratung für Sexarbeitenden.
Die Teilnehmenden sind eingeladen, den fokussierten Kritikansatz und die vorgestellte Perspektive gemeinsam zu diskutieren.
Zur Person:

E-Mail: gilges@posteo.de
Sprachbarrieren in der Beratungsarbeit
Der Workshop beginnt mit einem kurzen Input zu den Ergebnissen meiner Forschungsarbeit zum Thema Spracherleben in institutionellen Behörden durch mehrsprachige Sexarbeiter*innen (Masterarbeit November 2019). Den Schwerpunkt bildeten dabei sowohl die sprecher*innenzentrieren Erfahrungen von Sexarbeiter*innen im behördlichen Kontext als auch das noch vor der Beratung selbst herrschende sprachliche Ungleichgewicht zwischen beratener und beratender Person im Rahmen der gesetzlich verpflichtenden Beratungssituationen.
Im Anschluss daran folgt der Workshop, in dem die Teilnehmenden sich zunächst über weitere Herausforderungen und/oder eigene Erfahrungen austauschen können. Hierbei besteht die Möglichkeit, in Kleingruppen über die Gestaltung einer für die Sexarbeiter*innen „idealen“ Sprachmittlung im behördlichen Kontext zu diskutieren. Dabei orientieren sich die Gruppenarbeiten an den folgenden Leitfragen:
1. Welche weiteren Herausforderungen bestehen in einer behördlichen Beratungssituation im Kontext von Sexarbeit und Mehrsprachigkeit?
2. Wie könnte eine für die Sexarbeiter*innen „ideale“ Sprachmittlung im behördliche Beratungskontext stattfinden? (z.B. digitale Sprachmittlungsprogramme ohne Anwesenheit Dritter, mehrsprachige Broschüren etc.)
Zur Person:

Aufsuchende Arbeit im ländlichen Raum
Die ländliche Struktur von Schleswig – Holstein prägt auch den Charakter der Sexarbeit. Es gibt wenige Bordelle und Clubs, dafür viele Modellwohnungen verteilt über das ganze Land.
Ein wesentlicher Teil der Arbeit von cara*SH ist die aufsuchende Arbeit. 2mal die Woche fährt eine Beraterin zusammen mit einer*einem Dolmetscher*in durch das Bundesland und bietet Beratung an. Der Einstieg ins Gespräch ist vielfältig. Besonders interessiert aufgenommen werden Informationen über cara*SH mit seiner kostenlosen Rechtsberatung und zu gesundheitlichen Themen. Dies ermöglicht einen niedrigschwelligen Zugang zum Beratungsangebot und schafft Vertrauen.
In diesem Workshop wollen wir gemeinsam mit Ihnen und euch erarbeiten: Was sind Besonderheiten, Herausforderungen und Chancen der aufsuchenden Arbeit im ländlichen Raum? Welche Themen kommen auf und was muss alles durchdacht und eingeplant werden? Und was lässt sich gar nicht planen, passiert aber trotzdem?
Wir bringen konkrete Beispiele und Situationen aus unserer Arbeit mit und bieten praxisnahe Einblicke in den Arbeitsalltag von cara*SH.
Zu den Personen:

Studium der Philosophie, Erziehungswissenschaften und Pädagogik an den Universitäten Köln und Kiel. Masterarbeit in Pädagogik Thema: Diskursanalyse anlässlich des Inkrafttretens des Prostituiertenschutzgesetzes. Seit 2018 bei Cara SH Fachberatungsstelle für Prostituierte in Schleswig-Holstein, tätig. Außerdem biographische Arbeit mit geflüchteten Frauen im Biographieprojekt der Beratungsstelle Myriam und pädagogische Hilfe im Autonome Mädchenhaus Kiel im Rahmen eines Minijobs.
Patipan Haak
2013 Abschluß B.A. Soziale Arbeit an der FH Kiel. Seit 2018 bei cara*SH in der Beratungsarbeit vor Ort und im Streetwork Bereich. Video- und Telefonberatung, Netzwerkarbeit mit Hilfspartnern wie z.B. der thailändischen Botschaft. Mitarbeit in der 2005 gegründeten thailändischen Selbsthilfegruppe, die bestrebt ist die Integration, die Selbstbestimmtheit und das Empowerment zu fördern. Lotsenfunktion im MiMi Projekt SH.
Weibliche*Sexarbeit im Kontext Substanzkonsum – Konsequenzen für die Soziale Arbeit
In der Auseinandersetzung mit Sexarbeit fällt schnell die Vielschichtigkeit und Diversität dieses Themenfeldes auf. Unter dem umbrella term Sexarbeit verstecken sich unterschiedliche Lebenswelten, die von verschiedensten Arbeitsbereichen, sozialen Gefügen und gesellschaftlichen Prozessen beeinflusst werden. Der Bereich der sogenannten „Beschaffungsprostitution“ - also der Sexarbeit zur (Mit-)Finanzierung von illegalisierten Substanzen - ist in der Fachwelt wenig erschlossen, es gibt kaum Publikationen und diese Zielgruppe findet im Diskurs und in der Ausbildung wenig bis keine Beachtung. In meiner bisherigen sozialarbeiterischen Tätigkeit begegnet mir diese Adressat*innengruppe mit ihrer Vielfältigkeit, Besonderheit und ihren ebenso diversen Bedarfen. Zu den meisten anderen Adressat*innengruppen gibt es Handreichungen für Sozialarbeitende, die sich mit den nötigen Prinzipien im Umgang mit den Adressat*innen beschäftigen, bei dieser Zielgruppe sucht man danach vergebens. Die Frage, um die es also gehen soll ist: „Welche Handlungsprinzipien brauchen Sozialarbeiter*innen, um den Bedürfnissen der Zielgruppe und ihrem gesellschaftlichen Auftrag sowie ihrem fachlichen Anspruch gerecht werden zu können?“. Dabei wird vor allem die Wichtigkeit der Haltung und des politischen sowie fachlichen Selbstverständnis von Sozialarbeitenden in den Fokus gerückt.
Zur Person:

Sie arbeitete ein Jahr in der SBB "Alternative I" in Leipzig und war Teil des "Arbeitskreis Sexarbeit". Seit Oktober 2020 ist sie als Sozialpädagogin im "ragazza! e.V." in Hamburg tätig.
Perspektive auf Gesundheit von trans Personen in der Sexarbeit
Für eine gute und sensible Beratung für trans und nicht-binäre Sexarbeiter_innen ist spezielles Wissen und eine sensible Haltung notwendig. Menschen, die sich nicht passend in der ihnen zugewiesenen Geschlechtsidentität erleben, bringen oft andere Themen und Bedürfnisse mit sich - besonders im Bezug zu ihrer sexuellen Gesundheit. Darüber hinaus sind vielfältige Erscheinungen im Bezug zu Körperlichkeit in einer kompetenten HIV und STI Beratung stets mit zu berücksichtigen. Dieser Workshop bietet eine Möglichkeit die Lebenswelt von trans und nicht-binären Sexarbeiter_innen besser kennenzulernen, die besonderen Bedürfnisse zu verstehen und auch die Mehrfach-Marginalisierung dieser Community zu reflektieren.
Zur Person:
